50 Jahre Psychiatrie-Enquête
Zeit für einen sozialen Aufbruch in der Psychiatrie
Die Fachtagung “50 Jahre Psychiatrie-Enquête” fand am 2. und 3. Juni 2025 in Leipzig statt. Von 14 Verbänden getragen, stieß die Veranstaltung auf überwältigendes Interesse und bot sowohl Rückblick als auch Ausblick auf die Entwicklung der psychiatrischen Versorgung.
Rolle der Gemeindepsychiatrie in der Versorgungsentwicklung
Die Tagung verdeutlichte, dass bedeutsame Fortschritte seit der Psychiatrie-Enquête Ende der 1960er Jahre maßgeblich von Akteuren der Gemeindepsychiatrie ausgingen. Diese Entwicklung zeigt die Bedeutung verbindlicher Vernetzung und kontinuierlicher gemeinsamer Arbeit aller Beteiligten im psychiatrischen Versorgungssystem auf.
Aktuelle Herausforderungen in der Versorgung
Die Diskussionen identifizierten verschiedene Bereiche mit Verbesserungsbedarf. Dazu gehören die Stärkung von Partizipation und Peer-Beteiligung auf allen Entscheidungsebenen sowie der Ausbau von Peer-Beratung in Einrichtungen und Kliniken. Die Teilnehmenden betonten die Notwendigkeit größerer Flexibilität zur besseren Patientenzentrierung.
Ein weiteres Thema war der in Deutschland im internationalen Vergleich bestehende “institutionelle Bias”, bei dem institutionelle Interessen vor den Bedürfnissen der Menschen stehen können. Die Tagung diskutierte Ansätze, wie alle Akteure der psychiatrischen Versorgung die Interessen der Betroffenen stärker in den Mittelpunkt stellen können.
Resolution: Reaktion auf aktuelle politische Entwicklungen
Angesichts der aktuellen politischen Diskussion um sogenannte “psychisch erkrankte Gefährder” verabschiedete die Tagung eine Resolution, die in einer nächtlichen Sondersitzung erarbeitet wurde. Den ursprünglichen Entwurf verfasste Thomas Bock. Die Resolution stellt eine fachliche Einordnung aktueller Entwicklungen dar und bietet Orientierung für die praktische Arbeit vor Ort.

Zentrale Inhalte der Resolution:
- Wissenschaftliche Einordnung: Die Resolution verweist auf wissenschaftliche Belege, dass schwere Gewalttaten psychisch erkrankter Menschen nicht zugenommen haben, wohl aber die Berichterstattung darüber. Psychisch erkrankte Menschen sind häufiger Opfer als Täter.
- Bewertung von Gefährder-Listen: Die Resolution sieht pauschale Datenweitergaben als problematisch an, da sie die Stigmatisierung erhöhen und Menschen von notwendiger Hilfe abhalten könnten.
- Wohnraum als Grundbedürfnis: Betont wird die Bedeutung der Verwirklichung des Grundrechts auf Wohnen für obdachlose psychisch erkrankte Menschen.
- Vernetzung und Kooperation: Die Resolution hebt die Bedeutung aufsuchender und nachgehender Behandlung sowie verbindlicher Kooperation aller Leistungserbringer in Gemeindepsychiatrischen Verbünden mit regionaler Pflichtversorgung hervor.
- Kommunikation und Zusammenarbeit: Verbindliche Kommunikation – auch mit Sicherheitskräften – wird als wichtig erachtet, wobei der Fokus auf gemeinsamer Zuständigkeit und größerer Haltefähigkeit liegen sollte.
Bedeutung für die regionale Arbeit
Die Tagungsergebnisse und die Resolution bieten konkrete Impulse für die Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung auf regionaler Ebene. Sie können als Grundlage für Diskussionen mit Trägern, politischen Entscheidungsträgern und anderen Akteuren des Gesundheitswesens dienen.
Die Erkenntnisse der Tagung unterstreichen die Bedeutung der kontinuierlichen Zusammenarbeit aller Akteure der psychiatrischen Versorgung – von der Gemeindepsychiatrie über die Kliniken bis hin zu allen anderen Beteiligten im Versorgungssystem.
Ausblick
50 Jahre nach der Psychiatrie-Enquête stehen alle Akteure der psychiatrischen Versorgung vor der Aufgabe, die Versorgung weiterzuentwickeln. Die Tagung hat gezeigt, dass dies durch verstärkte Partizipation, verbindliche Vernetzung und eine konsequente Orientierung an den Bedürfnissen der Betroffenen geschehen kann.
PS: Die Aktion Psychisch Kranke wird wieder einen Tagungsband veröffentlichen, der die Tagungsbeiträge beinhalten wird. Das ursprüngliche Programm der Tagung inkl. der Rednerlisten finden Sie hier. Wer so lange schon in einen der alten Tagungsbände schnuppern möchte, findet diese hier kostenfrei zum Download.